Exhibition Small World Theory (2019)

Eva Wilson gave the opening speech at the exhibition putting her father in art historical background.

(German)

„Unsere Kindheit haben mein Bruder Jack und ich mit unseren beiden Architekten-Eltern zwischen Wettbewerben, Baustellen und auf architektonischen Pilgerfahrten verbracht. Räume, Materialien, Farben, Vorbilder, Details, Geschichte. Es war immer wichtig, die gebaute Umgebung wahrzunehmen, und zu versuchen, sie zu verstehen.
Mein Bruder ist trotzdem Architekt geworden.
Mir fehlte Sinn für diese Fragen. Ich bin der Architektur entkommen, aber nicht weit: in die Kunst

Diese Ausstellung, obwohl sie in einer Architekturgalerie stattfindet, hat – wie ich – wenig mit Architektur zu tun.
Das ist also meine Hauptqualifikation für diese Einführung.

Fast 90 Arbeiten sind in der Ausstellung zu sehen, in der Form kleiner Arbeiten auf MDF.
Sie lassen sich als Objekte in der Hand halten und zeigen Miniaturen, verdichtete Szenen, Assemblagen, Collagen. Die Titel geben wichtige Hinweise auf das abgesteckte Terrain.
Peter Wilson bezeichnet seine Objekte als Monaden, mit Verweis auf Leibniz und Walter Benjamin. Benjamin schreibt etwa: „Die Idee ist Monade – das heißt in Kürze: jede Idee enthält das Bild der Welt. Ihrer Darstellung ist zur Aufgabe nichts Geringeres gesetzt, als dieses Bild der Welt in seiner Verkürzung zu zeichnen.“

Das klingt sehr gut und sehr treffend. Benjamin schreibt hier allerdings nicht über Kunstwerke, sondern über Geschichtsphilosophie. Man könnte also argumentieren, dass es wenig im Sinne Benjamins ist, den Begriff der Monade hier aufzurufen.
Diese Aneignung von Theorie und Begriffen aus Literatur, Philosophie, Wissenschaft und Geschichte ist jedoch typisch für diesen Teil der Praxis von Peter Wilson: aus dem großen und weiten Feld dessen, was er sieht und liest, zitiert er frei, verkürzt, verknüpft und spielt mit oft bewusst missverstandenen Doppeldeutigkeiten. Ich mache jetzt das gleiche, wenn ich noch einmal Benjamin zitiere: „Die Darstellung einer Idee kann unter keinen Umständen als geglückt betrachtet werden, solange virtuell der Kreis der in ihr möglichen Extreme nicht abgeschritten ist.“

Die möglichen Extreme werden in den kleinen Arbeiten in der Tat oft abgeschritten. Oft in Form von visuellen Pointen, von paradoxen Kombinationen, vom Zusammenprallen von historisch aufgeladenen Tropen mit profanen Alltagsgegenständen oder von Wortspielen im Titel, also oft mittels Ironie und Absurdität.
Da gibt es z.B. die Arbeit mit dem Titel: Do Come Down Kasper David, there’s nothing up there.
That’s exactly the point of the Sublime Mumsy.
But wait, I think I see an Industrial Revolution on the Horizon (2012)

Oder The Man Who Sacrificed His Left Arm to Parametrics (2013)

Andere Arbeiten, wie Hackert’s Telefonino (2012) spielen mit der Verpflanzung eines offensichtlich fehlplatzierten Elementes in eine ansonsten klassische Szene der Kunstgeschichte. In diesem Fall: Landschaftsgemälde des brandenburgischen Malers Jacob Philipp Hackert, der, auf der Grand Tour durch Italien gemeinsam mit zwei britischen Gefährten als Protagonist für eine fiktionalisierte Szene sowohl hier in der Ausstellung als auch im Buch Reasons for Travelling to Italy herhalten muss.
Mit dem Erhabenen in Form des brodelnden Ätna konfrontiert, unterbricht die Realität eines zeitgenössischen Berlusconi-Italiens per Mobiltelefon die arkadische Szene.
Einer der Protagonisten bemerkt im Buch: „Might I make the observation that the presence of Hackert’s telefonino in this setup is as questionable as our own?“

Andere Arbeiten: Referenzen auf eine spezifisch britische Kulturgeschichte. Dazu gehört auch die Tradition der Grand Tour durch Italien.

Der Titel der Arbeit A Compound Subject Requiring a Plural Verb, die einer suprematistischen Abstraktion entsprungen sein könnte, oder aber einem Zellteilungsdiagramm, ist dem Handbuch Dreyer’s English entnommen – an Utterly Correct Guide to Clarity and Style. Vielleicht ist dies ein sich Abarbeiten an der RP, an der sogenannten Received Pronunciation, des von der Queen gesprochenen Englisch, aus der Perspektive des Colonial Boy aus Australien.
Peter Wilson selbst zieht Laurence Sterne als Vorbild heran, den irischen Priester und Autor der Sentimental Journey. Sternes Roman The Life and Opinions of Tristram Shandy verliert sich so sehr in Einzelheiten, dass selbst sein Protagonist erst in Band 3 geboren wird.

Die hier gezeigten Arbeiten sind Gefäße für einen weiten Kosmos von Geschichte und Theorie, von erinnerten Anekdoten, von Reisen, die in der gebauten Architektur von BOLLES+WILSON zwischen HOAI und Bauordnungsamt keinen Ort gefunden haben. Zum großen Teil aus den Notizen und Zeichnungen in immer mitgeführten Skizzenbüchern herangezogen, deren Format sie übernehmen, sind sie auch das Ergebnis einer täglichen privaten Praxis des Malens und Fabrizierens.

Der Ausstellungstitel, Small World Theory, bezieht sich auf eine Hypothese aus der Sozialpsychologie: Vermutung, dass jeder Mensch mit jedem anderen über eine überraschend kurze Kette von Beziehungen miteinander verbunden ist. Im Kontext dieser Arbeiten weitet sich die kleine Welt historisch und thematisch zwar extrem aus, findet aber eben auch in der Subversion „überraschend kurze Beziehungsketten“ in den Miniaturen – wie in den Arbeiten Malevich dreams German Romanticism, oder After Twombly – After Poussin, oder Mandelbrot’s Boxer Shorts.

Peter Wilson zitiert aus seinem immensen Gedächtnis für Geschichten und einer beeindruckenden Belesenheit. Oft hat er die Theorie, der ich im Studium in Berlin begegnet bin und wahrscheinlich dann mit ziemlicher Arroganz zuhause in Münster zitiert habe, später mit viel größerer Genauigkeit gelesen und von ihr Gebrauch gemacht.
Mein Vater schlug mir dementsprechend vor, seine Arbeiten entlang der Begriffe von Bruno Latour, Michel Serres, Aby Warburg, Jorge Luis Borges, James Joyce und / oder Friedrich Kittler zu lesen. Diese Herren mussten heute leider warten – während der Elternzeit standen nicht genügend Pockets of Time zur Analyse zur Verfügung.

Einige Arbeiten in der Ausstellung sind perspektivisch als Draufsicht konzipiert – als Satellitenperspektive auf eine Landschaft oder auf eine Karte, ohne Horizont. Vielleicht lässt sich hier eine Erinnerung an Peters Jugend in den weiten Landschaften vor Melbourne in Australien ablesen.
Diese Perspektiven sind extraterrestrisch; kein Sehnsuchtsblick wie die imitierten Landschaften der italienischen Reise. Es ist kein Versuch der Heimkehr, obwohl die Verpflanzung und Entwurzelung aus Australien und auch danach aus der Londoner Wahlheimat ins westfälische Sprachexil immer Thema sind.

Peter Wilson beschreibt sich selbst als lost in translation – liest aber Habermas auf deutsch und verwendet mühelos Begriffe wie „biegeweiche Vorsatzschale“.
Die kulturelle und sprachliche Entwurzelung lässt aber eben eine bestimmte fantastische Frontiermentalität zu, einen Prozess der Selbsterfindung oder Selbstverortung im Angesicht eines kolonialen Hangovers, oder ein sich Einschreiben in eine z.B. imperiale Geschichte – durch Appropriation, Manipulation, oder surreale „Korrektur“ von Vorgefundenem.

Nach den Reasons for Travelling to Italy arbeitet Peter Wilson im Moment an den Reasons for Travelling to Albania – neueren architektonischen Aufträgen in Albanien geschuldet. Zu dieser Reihe gehört etwa King Willem Arrives, oder King Zog Marries – Appropriationen albanischer Historienmalerei. Eine weitere Serie ist im Entstehen: aus Zeitschriften gesammelte Porträts von Immobilienmaklern und Hedgefonds-Managern.

Ich könnte viel mehr ins Detail gehen. Es sollten biografische Stationen erwähnt werden – die Architectural Association in London zB, oder natürlich die 40-jährige Zusammenarbeit mit meiner Mutter, Julia Bolles-Wilson.
Vielleicht schließe ich mit einer Urszene, die meiner Meinung nach prägend war, als Lektion im Abliefern von punch lines: Ich glaube, der Humor meines Vaters, das Vergnügen am Fehlermachen und an Glitches, ist vor allem Bill geschuldet, dem Familienpapagei in Australien, der gerne dies von sich gab: „1, 2, 3, 5, dammit I forgot the 4.“

 

THE COMMUNICTION OF LANGUAGE IN ITS MAGICAL INTERCOURSE_ 2008

QUASI OBJECTS_2011

G.P.S HOUSE_2013

100 WEST CROMWELL ROAD_2013

JACKSON POLLOCK_MARK TOBEY GO LAND ART_2008_2013

CELESCATING THE HIMMEL AND ALL HEIR ARCHITECTITIPTITOPLOFTICAL_JOYCE–FINNEGANS WAKE_2015

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